Lassen Sie mich diesen Artikel mit vier konkreten Thesen beginnen, die aus meiner Sicht die Entwicklung von Contact Centern und damit auch des Workforce Managements (WFM) in den kommenden Jahren massiv beeinflussen werden:
- Mindestens 80 % aller Kundenanliegen werden in Zukunft KI-gestützt und ohne den Einsatz eines Kundenberaters gelöst.
- Die Bearbeitung der verbleibenden Themen wird hoch komplex sein. Daher wird der Personalbedarf weiterhin bei 60 bis 80% des heutigen Personalaufwands liegen. Auch werden vermehrt Mitarbeiter erforderlich sein, die sich anderen Aufgaben auch im Kundenservice widmen.
- Die Bearbeitungsdauer eines Anliegens wird keine Rolle mehr spielen, sondern der Fokus wird auf eine First Contact Resolution Rate von nahezu 100% liegen.
- Unabhängig davon, über welchen Kanal ein Anliegen den Mitarbeiter erreicht, er wird die Bearbeitung immer mit KI-Unterstützung durch- bzw. weiterführen.
Diese sich ändernden Rahmenbedingungen werden einen deutlichen Einfluss auf die verschiedenen WFM-Prozesse haben. Welche das sind, skizziere ich grob und teilweise auch radikal.
Volumen-Forecast
Es wird keinen intervallbasierten Forecast mehr geben. Alle zeitkritischen Themen können Sie automatisiert durchführen. Einer KI ist es egal, wie viele Transaktionen innerhalb kürzester Zeit bearbeitet werden müssen, ausschlaggebend ist lediglich eine ausreichende technische Skalierung. Die Entwicklung in diesem Bereich wird sich vor allem in Richtung Prozess-Design verlagern. Welche Lösung und welcher Mitarbeiter-Skill sind für welchen Prozessschritt erforderlich? Das wird ebenso wie bisher die Forecast-Erstellung ein sich ständig wiederholender Prozess sein. Sich ständig ändernde Rahmenbedingungen werden die Regel und nicht die Ausnahme sein.
Öffnungszeiten, Eingangskanäle und Personaleinsatzplanung
Die Öffnungszeiten im Kundenservice können von derzeit 7×24 so reduziert werden, dass eine individuelle Work-Life-Balance möglich wird. Erforderlich sind dazu eine proaktive Kommunikation über alle kritischen Unternehmensprozesse (z.B. Störungen, Logistik, Service-Bereitstellung) und die KI-unterstützte Bearbeitung von Anliegen bereits zu Beginn jedes einzelnen Vorganges. Dazu gehören VoiceBots, eine nahezu 100%-ige Anliegen-Klassifizierung, ein signifikanter Anteil an automatisierter Dunkelverarbeitung, ChatBots und eine umfangreiche Anreicherung von Daten aus allen verfügbaren Tools. Dadurch wird für jeden Eingangskanal auch nur noch ein Eingangstor erforderlich sein (zentrale Rufnummer, zentrale E-Mail-Adresse, zentrale WhatsApp-Adresse, zentraler WebChat etc.). Die Personaleinsatzplanung wird nicht mehr in einer eigenen Rolle abgebildet werden. Diese Arbeit kann durch Schichtmodelle ersetzt werden. Diese können individuell für jeden Mitarbeiter, ob Voll- oder Teilzeit, im Büro und/ oder im Homeoffice, mit Schichtsplitting auch zu allen gewünschten Zeiten gestaltet werden.
Call Flow Design
Messen Sie dem Call Flow Design eine immer größere Bedeutung bei. Hier sollten Sie alle Prozesse von einer automatisierten Bearbeitung bis hin zur ggf. notwendigen Übergabe an einen Mitarbeiter, abgebilden. Alle daraus resultierenden Routingstrategien werden hier entwickelt und umgesetzt. Ein optimales Schnittstellen-Management zu allen im Unternehmen verfügbaren Tools ist notwendig, um den nächsten richtigen Prozessschritt mit allen erforderlichen Informationen auszustatten.
Intraday Management
Das Intraday Management wird zunehmend an Bedeutung verlieren. An seine Stelle wird zunehmend das Thema Mitarbeiter Empowerment treten. Die Mitarbeiter müssen in die Lage versetzt und vor allem ermächtigt werden, ihre Innovationskraft freizusetzen, um dadurch Prozesse aus erster Hand zu optimieren. Prozesse weisen dem Mitarbeiter die nächsten Vorgänge zu, die genau seinem Ausbildungsstand entsprechen und idealerweise seinen persönlichen tagesaktuellen Vorlieben entsprechen. Die Mitarbeiter können selbst entscheiden, welche Tätigkeiten sie zu welchen Zeiten (siehe auch Personaleinsatzplanung) durchführen möchten – kein Umskillen mehr durch einen „Steuerer“. Ein Umrouten von Vorgängen erfolgt bei Notwendigkeit nach definierten Kriterien automatisiert.
Reporting, Datenanalyse und Kennzahlen-Management
Die Anforderungen an das Reporting werden an Komplexität deutlich zunehmen. Alle Kundenservice- und die damit korrespondierenden Unternehmens-Prozesse sollten Sie ständig überwachen, die wachsende Datenmenge muss eine einfache KI-unterstützte Analyse erlauben und zeitnah Rückschlüsse auf notwendige Prozessänderungen automatisiert liefern. Auch wird es zunehmend erforderlich sein, den jeweiligen Rollen in den verschiedenen Unternehmensbereichen die für ihre Aufgabenerfüllung maßgeschneiderten Kennzahlen zur Verfügung zu stellen. Ein individuelles Reporting wird gegenüber dem „Gießkannen-Prinzip“ immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Dienstleistersteuerung
Auch die Dienstleistersteuerung wird sich radikal ändern und teilweise sogar umkehren. Künftig werden keine Tätigkeiten mehr ausgelagert werden und damit auch keine kennzahlenbasierte Überwachung und Steuerung erforderlich sein. Meiner Meinung nach werden zukünftig komplette Geschäftsprozesse ausgelagert: Business Process Outsourcing. Eine reine Beschränkung auf nicht geschäftskritische Prozesse, wie sie die heutige BPO-Definition vorsieht, sehe ich hierbei nicht mehr. Bei mehr oder weniger kritischen Geschäftsprozessen wird es die Aufgabe des Dienstleisters sein, den Auftraggeber zu steuern und mit allen notwendigen Informationen und Prozessanpassungen zu versorgen.
Zusammenfassung
In fünf Jahren wird sich der Kundenservice und die Arbeit im Contact Center radikal verändert haben. In der Zukunft des Contact Center Managements wird der Einsatz von KI-basierten Lösungen dazu führen, dass die Mehrheit der Kundenanliegen ohne menschliche Interaktion gelöst wird, wodurch Sie die Personalressourcen für komplexe Anfragen und andere Aufgaben im Kundenservice nutzen können.
Die Betonung liegt auf einer beinahe 100%igen First-Contact-Resolution-Rate und der kontinuierlichen Nutzung von KI-Unterstützung in allen Kommunikationskanälen. Dies erfordert eine Umgestaltung von Workforce-Management-Prozessen. Sie werden sich in diesem Bereich von bisherigen Aufgaben vollständig oder teilweise verabschieden müssen, aber es kommen neue und spannende Tätigkeiten hinzu. Mitarbeiter, die ggf. für die Bearbeitung von Kundenanliegen nicht mehr benötigt werden, können eine neue, herausfordernde und zufriedenstellende Beschäftigung finden. Doch nicht nur das Workforce Management verändert sich. Die Arbeit und die Prozesse im Contact Center werden sich in den kommenden Jahren radikal transformieren.
Author: Peter Basse
Unser Author Peter Basse ist darauf spezialisiert Contact Center zu modernisieren und sie zukunftsfähig zu machen. Er begleitet Unternehmen im Transformationsprozess, unterstützt bei Dienstleistersteuerung, WFM-Prozessen oder der Auswahl der passgenauen Technologie.