Der Evangelist

Self Service im Contact Center – (K)ein Allheilmittel! Die Tage auf einer hervorragenden Hausmesse eines Integrators mit einem breiten Themenmix. Ein Vortrag eines großen UC und Contact Center-Herstellers ist mir im Gedächtnis geblieben. Ein „Evangelist“ propagierte, dass man den Kundenkontakt unbedingt vollständig automatisieren muss. Chatbots, AI, Voicebots und was an Schlagworten momentan durch die Welt geistern.

Wieso? „Kundenservice koste nun mal nur Geld und man muss die Effizienz steigern…“ Stimmt das? Jain; auf die Mischung kommt es an und die Wirklichkeit ist nun mal komplexer. Wenn es nur um Kosten geht sind die Unternehmen in der heutigen Welt nicht angekommen… Wieso? Weil man inzwischen erkannt haben sollte, dass die Brand Loyality und echtes Zusatzgeschäft oft nur mit realen Menschen erreicht werden kann. Zudem ist – wie mein Kollege Walter Benedikt kürzlich richtig erklärte: Self Service oft nur „nur ein löchriges Pflaster auf einen schlechten Service“.

Andererseits hat eigentlich, gemäß der Trendstudie der Firmen converneo, RUF Beratung und voiXen, fast jedes Contact Center das Thema Kundenzufriedenheit auf dem Schirm. Nur wenn der Kunde nie mit einem Menschen spricht, dann hat das Unternehmen auch kaum eine Chance eine echte Beziehung aufzubauen. Denkt man nur an die von generischen Diensten von Unternehmen, welche eine Standartleistung, wie z.B. die Stromlieferung anbieten. Es gibt kaum in Kontakt mit dem Unternehmen bzw. eigentlich ist jeder Kontakt erstmal ein Ärgernis (Rechnungsprobleme, Preiserhöhung etc.) und ein Grund zu wechseln, insbesondere dann, wenn der Self Service eher aufwendig ist.

Ein anderes Beispiel aus dem Verkauf: Wer in der Vergangenheit bei einem großen Shoppingportal mal einen Baseballschläger suchte, der hat unter der Rubrik „Kunden kauften auch…“ eine schwarze Sturmhaube angeboten bekommen. Die logische Konsequenz: Self Service im Contact Center kann auch Umsatz- und Kundenverlust bedeuten! Denn eine Maschine bietet Kunden nur die Dinge an, die der Algorithmus anhand fester Regeln als möglicherweise passend erachtet. Und genau hier liegt momentan noch der ungeschlagene Vorteil eines Menschen: Empathie und Kreativität, um auch mal Gespräche in eine Richtung zu lenken, welche bei 99% der Kunden nicht zum Erfolg führen, aber gerade bei dem Herrn oder der Dame in der Leitung hervorragend ankommt.

Automatisierung führt richtig umgesetzt dazu, dass ein Contact Center effizient arbeitet. Aber es ist falsch, wenn man meint alles automatisieren zu müssen. Richtig ist es stattdessen, abzuwägen, wo der Vorteil für den Kunden liegt, wenn ein Prozess automatisiert wird und wo der Vorteil des Unternehmens liegen kann, wenn der Prozess gerade eben nicht automatisiert wird. Beispiele:

  • Wenn man weiß, dass der Kunde eine schnelle Lösung für ein einfaches Problem – und damit negative Thematik – benötigt und diese mit Automatisierung schnell und zur Zufriedenheit des Kunden zu erreichen ist – wieso nicht.
  • Wenn jedoch davon auszugehen ist, dass der Kunde eh in guter Stimmung ist, und man im Anschluss an das Servicegespräch ein Verkaufsangebot legen, kann – dann sollte das Gespräch auch mal zum Agenten geroutet werden.
  • Gerade bei sehr komplexen oder schwer einzugrenzenden Service-Themen sind erfahrene Agenten zumeist eher für eine positive Kundenerfahrung zuständig als ein langwieriger Selfservice.
Wie geht es besser?

Richtig also: Es gilt genau abzuwägen wo der Vorteil von Self Service und einer Automatisierung liegt. Wir sind in Projekten aktiv, in denen Unternehmen nach Automatisierungshype aktuell umdenken und den Selfservice im Kundenservice sehr selektiv wieder einschränken – zugunsten einer bessern CX oder um das bestehende Geschäft zu sichern und auszubauen. Ein aktuelles Beispiel: In der IVR werden basierend auf CRM-Daten Kunden mit einer vorhergegangenen Beschwerde oder sogar Kündigung erkannt, diese landen nicht beim Self Service sondern immer beim spezialisierten Agenten, der abklärt ob eine Schlechtleistung besteht, ob man die Probleme des Kunden (hoffentlich zu Gunsten einer Vertragsverlängerung) beheben kann bzw. ob man dem Kunden durch passendere Angebot halten kann. Die zu den Agenten gerouteten Gespräche bieten dann einen echten Mehrwert – für den Kunden und eben auch für das Unternehmen.

Solch ein Ansatz bedeutet aber, dass sich Unternehmen mit ihrer Customer Journey beschäftigen müssen und klar sein muss, wie den Kunden wo und wann am besten geholfen wird. Ein anderer positiver Seiteneffekt ist die Mitarbeiterzufriedenheit: Wenn ein Mitarbeiter als Firmenrepräsentant auftreten soll, dann braucht er mehr Erfahrung, Ausbildung und somit mehr Wertschätzung, was wiederum die Freude an der Arbeit steigert.

Kurz zusammengefasst

Kontakt-Automatisierung klingt erstmal großartig und logisch. Aber um auf den Blogeinstieg zurückzukommen: Ein „Evangelist“ predigt nun mal nur eine „einzige Wahrheit zum Wohle seines Herrn“. Bedenken sollte man, dass auch hier unterschiedliche Interessen bestehen – der Hersteller verdient sein Geld damit, dass ein Contact Center möglichst viel automatisiert.

Jeder Contact Center Manager sollte aber selbst genau betrachten, was denn das Optimum fürs Unternehmen darstellt. Oft steht einer Automatisierung zur Effizienzsteigerung andere Interessen des Unternehmens gegenüber, nämlich dem Kunden möglichst einen Top Service zum gleichzeitigen Vorteil des eigenen Unternehmens zu bieten– sozusagen die Win-Win Situation zu suchen. Denn wie sagt man so schön – „ohne Kunden kein Geschäft“ und bestehende Kunden glücklich zu halten ist nun Mal 5x billiger als neue Kunden zu gewinnen.

Es ist also Zeit ein Contact Center nicht als Kostenfaktor zu sehen, sondern als Teil der Leistung gegenüber den Kunden – natürlich soll man automatisieren; aber man sollte genau betrachten, wo weiterhin eine menschlicher Interaktion Sinn macht, so dass die Kunden die Leistung auch als „Sehr Gut“ bewerten.

Die Trendstudie ist übrigens zum Download verfügbar!

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