aRTA

Customer Care Organisation der Zukunft: Kollege Computer steuert das Tagesgeschäft (aka. automated Real Time Adherence – “aRTA”)

Mein sehr geschätzter Kollege Matias Musmacher hatte in seinem letzten Blogartikel „Customer Care Organisation der Zukunft: Das Ende von Zucht und Ordnung“ sinngemäß dargelegt, dass die Zeiten der straff und paramilitärisch geführten „Milizsoldaten“ im Contact Center vorbei ist, und die Zeit der „Elite-Soldaten“ gekommen ist.

Der Fokus der Customer Care Agenten verschiebt sich (siehe auch dem spannenden Artikel von Andreas Klug) mehr und mehr zu nicht-automatisierbaren Tasks wie Erklären, Abschätzen, Vorschlagen, Ausnahme-Situationen behandeln und vor allem zum „wirklichen“ Customer Care, d.h. emotional auf den Kunden zuzugehen. Dies führt zu einer Verschiebung der Herausforderungen im Workforce Management:

  • Die Agenten benötigen mehr Wissen und Ausbildung – auf die Methoden zum Wissenstransfer und der Ausbildung wollen wir hier aufgrund Platzmangels nicht eingehen, aber es ist eine Tatsache, dass es mehr Trainingsslots geben muss – und diese in einigen Branchen (z.B. in der Finanzindustrie) aufgrund Auftraggeber- (z.B. beim Outsourcing) oder regulatorischer Vorgaben auch nachgewiesen werden müssen.
  • Die standardisierten Anfragen wird man ja mehr und mehr automatisieren und im Selfservice abbilden. Dies führt dazu, dass man die Anzahl der eingehenden Anrufe pro Zeitabschnitt langfristig nicht mehr akkurat vorherplanen kann, da die Kunden vor allem dann mit einem Agenten reden wollen, sie z.B. im Selfservice nicht mehr weiterkommen, und es sich folglich um Ausnahmesituationen wie Rechnungsfehler, Netzprobleme beim Telko etc. handelt.
  • Der nächste Punkt baut auf den vorherigen Punkt auf: Die Gespräche behandeln die „Ausnahmen“, d.h. sie sind inhaltlich spezieller und kein Standardgeschäft mehr; sie werden emotionaler, was manchmal auch mehr Worte und somit Gesprächszeit bedarf und die AHT (durchschnittliche Gesprächszeit) wird unkalkulierbarer. Konnte man früher davon ausgehen (siehe auch der Beitrag von Matias Musmacher) dass bei den meisten Anrufen die Gesprächsdauer bei x Sekunden liegt, so muss man bei den „Ausnahmen“ intensiver auf den Kunden eingehen und kann eben die AHT nicht mehr penibel einfordern, wenn man vom Agenten ein Lösen des Problems bei zufriedenem Kunden erwartet,
  • Da man aber inzwischen mehr Wert auf einen „herausragenden Kundenservice“ legt, wird ein Intraday-Management (noch) wichtiger, da man sicherstellen muss, dass die Kunden zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Ansprechpartner mit dem richtigen Wissen ans Telefon bekommen.
  • Und zu guter Letzt kommt das Thema „Employee Engagement“ hinzu; die Agenten wollen mehr in den Planungsprozess eingebunden werden. Ursächlich ist erst einmal, dass die Agenten aufgrund obiger Anforderungen gebildeter, dadurch fordernder sind; die Ausbildung intensiver und länger ist und leider die Agenten auch attraktiver für Abwerbeversuche der Konkurrenz werden.

Entsprechend wird inzwischen bei der Personaleinsatzplanung erwartet, dass die Agenten viel aktiver in die Planung eingebunden werden, um sie motivierter und enger am Unternehmen zu halten. Der Prozess verändert sich: Neben den Standardfunktionen Forecasting, Schicht- und Aufgaben-Planung, Intraday-Management und ggbfs. Arbeitszeiterfassung gibt es inzwischen neue Themen wie die Event-Planung zur Planung von Trainings, Teambesprechungen etc. und auch bestehende Prozesse gewinnen massiv an Gewicht.

Inzwischen wird von einer herausragenden Workforce Management-Lösung daher mehr erwartet. In der Branche werden diese erweiterten Lösungen als aRTA (Automated Real Time Adherence)-Lösungen bezeichnet. Mit folgendem Fokus:

  • Optimierung der Effizienz und der Kundenzufriedenheit durch automatisierte Tätigkeiten-Steuerung in Echtzeit: Wenn sich das Kontakt-Volumen im Contact Center unerwartet verändert, ist es nicht immer einfach, die Tätigkeit von Telefonie zu Schrift oder umgekehrt zu wechseln. Allein Verzögerungen in der Kommunikation generieren einiges an unproduktive Zeiten, die sich ein Unternehmen mit einem Multiskill-Contact Center eigentlich erhofft hat einzusparen. Ein von RUF betreutes, recht agiles Unternehmen geht von einem Arbeitszeitverlust von 30 Min/Mitarbeiter beim unerwarteten Aufgabenwechsel aus – pro Mitarbeiter und trotz eines sehr aktiven Intraday-Management-Teams. Eine automatisierte Real Time Intraday-Management-Software kann hier unterstützen, dass die entsprechenden Manager eine Tagessicht im Unternehmen haben und die Software selbst kann Veränderungen gemäß vordefinierten Regeln und dem aktuellen Tagesstand vorausschauend steuern sowie automatisiert und vorab zu den Mitarbeitern kommunizieren. Dies bedeutet für ein Contact Center massive Einsparungen bei den Aufwänden für das Intraday Management und eine Produktivitätsverbesserung. Neben einer optimierten Auslastung der Agenten reduziert sich das Overstaffing sowie der Aufwand für die Planer und das Intraday-Management dramatisch.
  • Einbindung von Heimarbeitskräften in die Tagessteuerung: Die Steuerung der aktuellen Tasks gelingt einfacher, die Kommunikation ist flexibler und je nach Unternehmen können Heimarbeitskräfte per Mobile App auch schnell hinzugezogen werden um eine kurzfristige Unterdeckung zu kompensieren.
  • Reduzierung der Shrinkage durch flexiblere Event-Planung: Momentan reservieren die meisten Unternehmen eine Zeitreserve für allgemeine Tätigkeiten wie kurze Trainings, Mitarbeiter-Entwicklung und Kommunikation. Dazu gehören eben auch Refresher-Schulungen, morgendliche Updates, Gespräche mit den Vorgesetzten und vieles mehr. Statt diese Termine fest oder „nach Gefühl“ einzuplanen entscheidet die Software, wann die besten Zeitpunkte für z.B. die Durcharbeit eines Webinars ist – und bei entsprechender Arbeitslast verschiebt sich der Termin auch automatisch. Und so wird aus der Shrinkage eine Optimierung der Leerlaufzeiten.
  • Steuerung von Trainings und Fortbildungen – Die meisten Unternehmen wollen oder müssen regelmäßige Trainings und Fortbildungen durchführen und oft auch nachweisen. Wenn diese über ein kurzes Webinar hinausgehen, werden sie oft über Wochen im Voraus geplant. Wenn dann in der Zwischenzeit die Realität den Plan wieder einmal überholt hat (weil z.B. das Anrufvolumen steigt), werden hektisch Mitarbeiter aus den Trainings abgezogen, ohne dass dies sauber dokumentiert wird, und zu Lasten der Mitarbeiterentwicklung. Eine moderne Workforce-Management-Lösung stellt sicher, dass zum einen die Training soweit wie möglich auch wie geplant stattfinden, bei Bedarf Trainings zeitlich verschoben werden und natürlich sichergestellt wird, dass die Mitarbeiter die benötigten Trainings auch wirklich durchführen können. Somit ist sichergestellt, dass die Trainingsversprechen gegenüber Auftraggeber und Agenten auch eingehalten werden.
  • Einbeziehung der Mitarbeiter in die Planung: Die Mitarbeiter können sich proaktiv – auch bevorzugt per Mobile App – in die Planung einbringen und vordefinierte Arbeitszeiträume auswählen, Schichten (natürlich nur bei passendem Skillset) tauschen, sich krank oder anderweitig abwesend melden und durch eine erhöhte Sichtbarkeit auch selbst Ihren Arbeitstag um die Kundenanforderungen herum planen. Das gibt den Mitarbeitern das Gefühl, dass auch Ihre Themen wichtig sind und sie können selbstständiger planen – und das alles ohne einen einen Teamleiter oder Planer bitten zu müssen, sondern vollautomatisiert. Ein Nebeneffekt ist, dass die Adherence steigt – denn wieso passt die Adherence oftmals nicht? Die Arbeitslast mag nur ein Teil der Antwort sein – oft ist es einfach auch die Unzufriedenheit der Agenten mit dem Plan. Wenn die Agenten mitbestimmen können, dann ist beispielsweise gewährleistet, dass sie gemeinsam mit dem Lieblingskollegen gemäß angepasstem Plan in die Pause gehen, anstatt 15 Minuten vor dem eigentlichen Plan, nur damit ebenjener Lieblingskollege dabei ist. Mit einem automatisierten Incentive-Programm kann man zudem Mitarbeiter belohnen, die unattraktive Schichten übernehmen.
aRTA – Lohnt sich das?

Jede dieser Funktionen an sich bietet einen hohen Mehrwert, aber man muss natürlich immer ernsthaft abwägen, ob die Vorteile die Nachteile überwiegen. Beispiele:

  • Für manche mag es besorgniserregend sein, wenn eine Maschine sich um die Tagessteuerung kümmert, ja erstmals „sogar eine Maschine dem Menschen Befehle gibt“ statt nur eine Entscheidungshilfe zu sein – Gegenargument: Die Steuerung ist weniger subjektiv und die Fairness leidet nicht mehr! Damit ist gemeint, dass die Verantwortlichen im Intraday Management oft die gleichen Agenten nach Überstunden fragen oder zu unbequemen Schichten einteilen, weil sie wissen, dass diese Agenten dies schnell akzeptieren oder weil der Verantwortliche den Agent eh nicht leiden kann. Andere fragt der Intraday Manager nicht , weil diese immer laut „meckern“, wenn Sie gefragt werden.
  • Zum Nachteil kann werden, dass die Agenten sich vermehrt mit Ihrer eigenen Arbeitszeitplanung beschäftigen und sich weniger mehr um die Kunden kümmern; die Effizienzersparnis durch verringerte Planungsaufwände ist somit weitaus geringer und die Betriebseffizienz sinkt.
  • Ein Vorteil der Lösung ist auch die erhöhte Flexibilität, um bei hoher Last mit Überstunden und Schichtverschiebungen zu reagieren – allerdings muss durch entsprechende Regeln und organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden, dass die „Flexibilität“ nicht zum „Ausnutzen der Agenten“ ausartet…

Nahezu alle PEP bzw. WFM-Lösungen haben das Intraday Management momentan noch nicht automatisiert und generieren daher entsprechend eine massive Arbeitslast für die menschlichen „Intraday Manager“ , die sich um die Tagessteuerung kümmern, Automatisierte Intraday-Management-Lösungen sind daher heutzutage zumeist als Zusatzanwendung auf Basis eines bestehenden WFM-Systems verfügbar. Es gibt mehrere Anbieter, die entsprechenden Lösungen als Ergänzung zu einem vorhandenen WFM-System basierend auf den WFM-Schnittstellen anbieten, z.B.:

  • Intradiem (https://www.intradiem.com), sehr erfahrener Anbieter in diesem Bereich mit einer langen Branchenerfahrung
  • QStory (https://qstory.co.uk), ein kleiner, agiler Anbieter aus UK mit Integrationsmöglichkeiten auf Basis vieler WFM-Lösungen
  • NICE Employee Engagement Manager (https://www.nice.com/websites/employee-engagement-manager), eine von NICE aufgekaufte Lösung von Workflex, die auf die Zusammenarbeit mit NICE WFM optimiert ist, aber in viele andere WFM-Lösungen integriert werden kann.
  • Was das einzelne Thema Employee Engagement (ohne Automatisierung der Intraday-Steuerung) angeht, haben einige Anbieter, wie z.B. Verint dies in Ihre Lösung implementiert, wie beispielsweise Marc Ohlmann darlegt

Nicht zu jedem Contact Center passt eine Automatisierung des Tagesgeschäft, aber manche Lösung lohnt sich je nach Use Case schon ab 150-200 Agenten. Gerne beraten wir Sie, über den Nutzen für Ihre Anwendung und welche Anwendung am sinnvollsten für Sie ist!

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