“Dieser blöde Computer versteht mich nicht” … Samstagabend im Hause “Ruf”:
Nach dem Abendessen kramt meine Schwiegermutter in der Handtasche und zieht einige Schreiben hervor. „Ich krieg meine neue Kreditkarte nicht aktiviert, diese Computerstimme versteht mich nicht“. Die schnelle Zusammenfassung: Ich habe ebenfalls erstmal total versagt.
Aber zurück zur Situation: Sie ist über 80, aber immer noch patent unterwegs. „Du kennst dich doch mit sowas aus, kannst du mir helfen?“. Klar, als Traum-Schwiegersohn kümmert man sich natürlich; erst mal die Schreiben angeschaut. Die Aktivierung und Setzen der Wunsch-PIN ging per App oder per Telefon unter Angabe eines Einmal-Codes. Meine Schwiegermutter ist patent, aber Online-Banking nutzt sie doch wenig, und Apps schon gar nicht. Aktivierung via Online-Banking wurde nicht angeboten, die App-Variante kam also nicht zum Tragen. Also ab ans Telefon.
„Wenn Sie Ihre Karte mit Wunsch-PIN aktivieren wollen, drücken Sie die 1. Wenn…“
Taste EINS.
„.. Sie Ihre Karte…“
Taste EINS
„…sperren wollen…“
Laute Stimme meinerseits: „EINS“
… drücken Sie die …“
Meine Schwiegermutter grätscht dazwischen: „Ich habe es sowohl per DTMF als auch per Sprache versucht, aber der blöde Computer versteht mich nicht“. (Hatte ich schon erwähnt, dass Sie recht patent ist?). Trotzdem direkt als Versuch nochmals die Taste EINS gedrückt, und der Computer:
„Bitte geben Sie per Tastatur Ihren Einmal-Code ein. Diesen haben Sie…“.
Klar, die 12-stellige Nummer eingegeben.
„Diese Nummer ist uns nicht bekannt, bitte versuchen…“.
Neuer Versuch, gleiches Ergebnis. Beim dritten Versuch gab es dann ein
„Auf Wiedersehen“.
Erneut angerufen. Nach mehreren Versuchen haben wir tatsächlich die Menu-Auswahl und die Eingabe Einmal-Code überstanden. „Bitte bestätigen Sie den Einmal-Code?“. Wait, what?? Nein, das ist der Computerstimme total ernst. Danach: “Bitte geben Sie Ihr Geburtsdatum ein. Bitte verwenden Sie dazu das Format Tag Tag Monat Monat Jahr Jahr Jahr Jahr“. Oh Mein Gott. Aber damit nicht genug: „Bitte bestätigen Sie Ihr Geburtsdatum durch erneute Eingabe erneut“…
Ich erspare dem Leser die weiteren Details, aber: Eine patente Seniorin kriegt ihre Kreditkarte nicht aktiviert und der Schwiegersohn – als „digital Native“ – kriegt es auch nur mit viel Mühe im vierten Versuch auf die Reihe.
Die Ursachen kurz zusammengefasst:
- Die IVR akzeptiert nur Eingaben, nachdem sie ihre Ansage beendet hat (+2- Sekunden). Persönliche Einschätzung meinerseits: „Die 90er wollen ihre Technologie zurück.“
Wie kann man sowas heutzutage noch einsetzen? Ich bin entsetzt! - Die IVR hat eine schlechte Spracherkennung.
- Die IVR-Menus sind nicht kundenzentriert, sondern von ITlern geschrieben.
- Und schon gar nicht optimiert auf die Ziel-Personas, die diesen Service auch nutzen!
Nachdem meine (patente) Schwiegermutter wieder zu Hause war, kam ich ins Grübeln. Das Ganze wird ja kein Einzelfall sein. Das betreffende Unternehmen buhlt grundsätzlich um konservative/seniorige Kundschaft und lässt sich sicher nicht als hippes Startup beschreiben… Trotzdem schließt man mit seinem Kundenservice und der Kanalstrategie bestimmte Kundengruppen explizit aus – wenn diese sich keine Hilfe holen. Wobei ich hier der Meinung bin, dass dies nicht mit Absicht geschieht, sondern aufgrund fehlender Kompetenzen. Wahrscheinlich wurde es intern sogar als „supermodern“ verkauft.
Automatisierung, Kontaktvermeidung usw. ist ja hip,
gerade aber deswegen sollte man sich hier die kritische Frage stellen, wie man es vermeiden kann, bestimmte Gesellschaftsteile von der öffentlichen Teilhabe auszuschließen. Denn was wäre der Worst Case? Meine Schwiegermutter kann die Kreditkarte oder eben andere Dienste nicht mehr nutzen… Außerdem: Wenn selbst der erfahrene Schwiegersohn erstmal scheitert, dann geht es nicht um die 0,01%, die damit nicht klarkommen, sondern einen größeren Anteil. Für diese Unternehmen kann das Geschäftsverluste bedeuten – trotz der Tatsache, dass die Älteren immer erfahrener mit der Technik werden.
Sicherlich kenn ich ein Beratungsunternehmen, dass bei solchen Fragestellungen helfen wird, kontaktieren Sie es doch
Wichtig ist aber auch, dass jedem Unternehmer klar wird, dass die ganze Bandbreite der deutschen Gesellschaft bedient werden muss – über verschiedenste Kanäle und Leistungen.
Roland Ruf, RUF Beratung