Jeden Morgen ist es dasselbe Spiel: Der Kundenservice-Manager prüft die zu bearbeitenden E-Mails in der Omnichannel-Lösung. Die Zahl der überarbeitenden Nachrichten ist leider erneut gestiegen. Täglich werden es mehr – um 50, 100 oder auch mal 200. Als Kundenservice-Manager ist es eine Kernaufgabe, die Anliegen der Kunden zeitnah zu bearbeiten, Lösungen zu finden und dabei immer freundlich und professionell zu bleiben. In letzter Zeit ist jedoch festzustellen, dass das E-Mail-Postfach immer seltener als Werkzeug, sondern vielmehr wie ein Feind wahrgenommen wird.
Der Backlog ist riesig und die Frage ist: Wie soll man diesen Berg jemals abtragen, ohne dabei den Überblick, die Kunden und – schlimmer noch – die Motivation der Mitarbeiter zu verlieren?
Ein Backlog ist oft ein vermeidbarer Fehler im System.
Die Reaktionszeit auf Kundenanfragen ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg eines Unternehmens. In Zeiten von Social Media ist es unerlässlich, auf Anfragen zeitnah zu reagieren, um nachhaltige Imageschäden zu vermeiden. Die Ursachen für einen solchen Backlog können vielfältig sein und umfassen (unter anderem) folgende Faktoren:
· Unzureichende personelle Ausstattung
Ist der Kundenservice nicht ausreichend mit qualifizierten Mitarbeitern besetzt, können Spitzen im Anfragevolumen nicht effektiv bewältigt werden. Dies führt zu einem Anstieg unerledigter Anfragen.
· Unzureichende Priorisierung und Verwaltung von Aufgaben
Ohne ein effektives Backlog-Management können Aufgaben unorganisiert bleiben, was die Effizienz des Teams beeinträchtigt, und die Bearbeitung offener Anfragenverzögert.
· Technologische Einschränkungen
Veraltete oder ineffiziente Systeme können die Produktivität der Mitarbeitenden beeinträchtigen und die Bearbeitungszeit von Anfragen verlängern.
· Externe, nicht beeinflussbare Probleme
Externe Events wie ein Zeitungsartikel, eine nicht abgestimmte Marketingmaßnahme oder ein ungeplanter Ausfall eines Dienstes können ebenfalls zu einem Backlog führen.
Ein einmal angestautes Backlog ist ein doppeltes Problem
Kunden, die auf eine Antwort warten oder beim ersten Anruf nicht durchkamen, rufen erneut an. Dadurch werden Warteschleifenplätze blockiert und es entsteht doppelter Aufwand. Dies führt zu einem weiteren Anstieg des Backlogs und hat negative Folgen für die spätere Bearbeitung. Dabei steht eventuell wieder ausreichend Personal für die Abarbeitung eines normalen Volumens zur Verfügung.
Wie geht man folglich mit einem Backlog um?
Im Folgenden möchte ich konkrete Ansätze nennen, die sich im Backlog-Management als effektiv erwiesen haben. Diese Ansätze werden in unserem Unternehmen regelmäßig eingesetzt und ich kann aus Erfahrung bestätigen, dass sie funktionieren.
Für die effektive Bearbeitung des Arbeits-Backlogs in einem Contact Center stehen mehrere Methoden zur Verfügung. Im Folgenden werden acht davon näher erläutert.
- Zunächst müssen die Ursachen identifiziert und entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Dies kann zum Beispiel das Ausspielen hilfreicher Nachrichten für spezifische Anrufer Gruppen oder das Versenden proaktiver Kundeninformationen sein. Dabei bieten flexible IVR-Menüs, Massen-E-Mails oder konfigurierbare Chatbots klare Vorteile.
- Es empfiehlt sich, in regelmäßigen Abständen Backlog-Grooming-Sitzungen durchzuführen. Im Rahmen dieser Sitzungen sollten die Relevanz der Aufgaben bewertet, veraltete Einträge entfernt und Prioritäten angepasst werden. Diese Methode findet heute bereits in vielen IT-Abteilungen bei sogenannten „Scrum-Teams“ Anwendung, kann jedoch auch in das operative Contact Center übertragen werden. Ein wichtiger Bestandteil dieser Methode ist die bewusste Entscheidung, Anfragen, die nicht mehr relevant sind, unbeantwortet zu lassen. Dies kann für Kundenservice-Manager schmerzhaft sein, ist aber ein wesentlicher Bestandteil einer effizienten Arbeitsweise.
- Die Intraday-Steuerung und das Kanal-Blending ermöglichen die Nutzung von Echtzeitwerten zur dynamischen Steuerung des Verhaltens der Warteschlangen. Bei Bedarf kann somit eine Anpassung des Mitarbeitereinsatzes erfolgen. Dazu sind jedoch bestimmte technische Voraussetzungen sowie flexibel einsetzbare Mitarbeiter (Multiskill) erforderlich.
- Self-Service-Optionen anpassen, damit Kunden basierend auf dem Backlog entsprechend Anfragen selbst lösen können. Eine FAQ Webseite, die statische Informationen aus dem Marketing beinhaltet, ist in den allermeisten Fällen nicht wirklich hilfreich.
- Der Einsatz virtueller Warteschlangen bietet Kunden die Möglichkeit, Rückruf-Optionen zu wählen und die Wartezeit zu verkürzen. Auf dem Markt sind bereits einige etablierte Anbieter zu finden, die ihre Lösungen schnell (SaaS) implementieren können.
- Anwenden Sie klare Priorisierungstechniken für die Aufgaben, wie die MoSCoW-Methode (Must, Should, Could, Won’t) oder die Eisenhower-Matrix, um wichtige Aufgaben zu identifizieren. Bedenken Sie dabei: Andere Abteilungen (z. B. Marketing, Vertrieb) haben eine komplett andere Sichtweise und sind von Entscheidungen im Kundenservice betroffen. Es ist empfehlenswert, dass Sie sich mit ihnen absprechen.
Im Rahmen der Priorisierung von Aufgaben kann das Kano-Modell Anwendung finden. Dieses Modell dient der Einteilung von Aufgaben nach Basisanforderungen, Leistungsmerkmalen und Begeisterungsmerkmalen. Auf dieser Grundlage lassen sich die Aufgaben entsprechend ihrer Kundenwichtigkeit kategorisieren und bearbeiten.
Ebenso bietet es sich an, eine Value vs. Complexity-Matrix zu erstellen. Auf diese Weise lassen sich schnell umsetzbare Aufgaben sowie solche mit hohem Impact priorisieren. Diese Methode ist sehr sinnvoll, um anhand von objektiven Kriterien den Nutzen in Relation zu den eingesetzten Ressourcen zu bringen.
Eine effektive Organisation des Backlogs und die passende Zuweisung von Aufgaben sind wesentliche Faktoren, um die individuellen Stärken der Mitarbeiter zu nutzen. Ein Beispiel aus der Praxis: In einem Backoffice-Team gibt es häufig Mitarbeiter, die Routinearbeiten erledigen möchten, da diese eine hohe Planbarkeit und wenig Entscheidungsfreiheit bieten. Andere Mitarbeiter bevorzugen anspruchsvolle Aufgaben, die eine Herausforderung darstellen und Raum für Kreativität bieten. Um die Effizienz beider Mitarbeiter zu optimieren, ist es empfehlenswert, sie entsprechend ihren Vorlieben mit Aufgaben zu betrauen. Dazu ist eine Aufteilung des Backlogs in spezifische Gruppen erforderlich, die diese unterschiedlichen Vorlieben und Aufgaben abbildet. Dieser zusätzliche Aufwand auf der Eingangsseite rechtfertigt sich durch den deutlich höheren Effizienzgewinn und die gesteigerte Mitarbeiterzufriedenheit.
Es ist essenziell, den Backlog in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren, um die Priorität der Aufgaben zu gewährleisten und aktuelle Anforderungen zu berücksichtigen. Das sogenannte „Cherry-Picking“ stellt ein bekanntes Problem dar, das zu signifikanten Eskalationen führen kann.
Diese Methoden helfen dabei, den Arbeits-Backlog effizient zu verwalten, Prioritäten klar zu setzen und die Kundenzufriedenheit zu verbessern. Sie lassen sich durchaus kombinieren.
An einem Beispiel erklärt
Betrachten wir ein reales Szenario aus unserer Beratertätigkeit: Ein Unternehmen hat einen hohen Aufkommen an E-Mails und Anrufen, da ein Backlog entstanden ist. Die Mitarbeiter sind grundsätzlich in der Lage, die Anfragen zu bearbeiten, jedoch führt das E-Mail-Backlog zu zusätzlichen Rückfragen per Telefon und damit zu einer kontinuierlichen Überlastung. Durch die Implementierung mehrerer Maßnahmen gelang es dem Unternehmen innerhalb einer Woche, den normalen Betrieb wiederherzustellen. Folgende Maßnahmen wurden durchgeführt:
- Löschungen von E-Mail-Anfragen, die aufgrund Alter oder anderer Kriterien wie Kündigung etc. irrelevant waren
- Anpassung des Selfservice mit Informationen zur aktuellen Lage
- Absolute Priorisierung des verbleibenden E-Mail-Backlogs, um Rückfrage-Anrufe zukünftig zu vermeiden.
- Trotzdem einen späteren Rückruf anbieten, um die Kundenerwartung trotzdem zu managen (falls noch relevant).
Eine Synchronisation der Anfragen über die Kanäle war von entscheidender Bedeutung. In dieser Woche wurde der Service-Level des Telefons bewusst sehr schlecht gehalten, während die Bearbeitung des E-Mail-Backlogs zur Auflösung der Überlastsituation führte.
Fazit: Backlog im Griff behalten und Kundenservice optimieren
Ein unkontrollierter Backlog im Kundenservice kann schnell zu ineffizienten Prozessen, Überlastung der Mitarbeiter und unzufriedenen Kunden führen. Ein systematisches Backlog-Management, das von der Ursachenanalyse über Priorisierungstechniken bis hin zur intelligenten Nutzung technischer Lösungen reicht, kann diese Situation effektiv entschärfen. Dies erfordert eine proaktive Herangehensweise, klare Prozesse und den optimalen Einsatz der verfügbaren Ressourcen. Mit den richtigen Maßnahmen kann das Backlog nicht nur abgebaut, sondern langfristig vermieden werden, sodass ein effizienter und kundenfreundlicher Service gewährleistet bleibt.
Ich habe versucht, die Punkte kurz und knapp zu erklären. Für Fragen oder Unterstützungsanfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Autor: Arno Rebmann
Februar 2025
